Graduiertenkolleg 516
Kulturtransfer im europäischen Mittelalter

Norbert Ankenbauer

„das ich mochte meer newer dyng erfaren“
Die Versprachlichung des Neuen in den Paesi novamente retrovati (Vicenza, 1507) und in ihrer deutschen Übersetzung (Nürnberg, 1508).

Norbert Ankenbauer 1507 erschien in Vicenza eine von Fracanzano da Montalboddo unter dem Namen „Paesi novamente retrovati et novo mondo da Alberico Vesputio Florentino intitulato“ herausgegebene Sammlung von Reiseberichten. Die in ihr enthaltenen italienischen bzw. ins Italienische übertragenen Berichte betreffen Reisen italienischer, portugiesischer und spanischer Entdecker nach Afrika, Indien und Amerika, die zwischen 1455 und dem Erscheinungsjahr der Sammlung stattfanden. Schon 1508 erschien in Nürnberg bei Georg Stuchs unter dem Titel „Newe unbekannthe landte und ein newe weldte in kurtz vergangener zeythe erfunden“ eine Übersetzung dieser Sammlung von Jobst Ruchamer; noch im selben Jahr erschienen auch eine lateinische sowie eine niederdeutsche Übersetzung. Die Übersetzung von Jobst Ruchamer wurde vom Nürnberger Geografen Johann Schöner aufgegriffen und liegt den Erklärungen seiner Karten und Globen zu Grunde, einige Abschnitte wurden auch wörtlich in Sebastian Franks Weltbuch übernommen.

Die Entdecker wurden auf ihren Reisen mit einer Vielzahl bislang in Europa unbekannter Sachverhalte konfrontiert, die sie in ihren Berichten erstmals in Worte fassen, „versprachlichen“ mussten. Die Versprachlichungsproblematik stellt sich erneut für die Übersetzer dieser Berichte, mit der Erschwernis, dass diese den beschriebenen Sachverhalt selbst nie gesehen hatten und so zwangsläufig auf Eigeninterpretationen des zu übersetzenden Neuen angewiesen waren.

Im Mittelpunkt des Dissertationsprojekts steht die Frage, wie in den vorliegenden Texten und den zu Grunde liegenden Quellen neue Sachverhalte versprachlicht und eingeführt werden und inwieweit diesbezüglich bei der deutschen Übersetzung Transferverluste erfolgten. Es wird hierbei davon ausgegangen, dass neue Konzepte durch einige wenige, strukturiert beschreibbare, Prozesse bzw. Mittel versprachlicht werden. Dabei muss stets ein Bezug zu bekannten Konzepten hergestellt werden, der, sofern er sich nicht aus der Lexie selbst erschließt, auch explizit ausgedrückt werden muss. Für die Frage des Kulturtransfers ist hier insbesondere von Interesse, welche Elemente von den Entdeckern beschrieben werden um das Bild außereuropäischer Kulturen zu vermitteln und welche Vergleiche und Kontraste zur jeweiligen Herkunftskultur des Entdeckers bzw. des Übersetzers dargestellt werden.

Um eine Beschreibung der Versprachlichung neuer Sachverhalte bzw. entsprechender Transferverluste zu ermöglichen, muss eine genaue semantische Analyse der für die Darstellung des Neuen verwendeten Lexien sowohl in der Ausgangssprache als auch in der Zielsprache erfolgen. Hierfür greife ich auf das von Andreas Blank entwickelte 3-Ebenen-Modell zurück, bei dem das zu einer Lexie gehörige einzelsprachlich-sememische, einzelsprachlich-lexikalische und außersprachlich-enzyklopädische Wissen zu beschreiben ist. Das 3-Ebenen-Modell baut auf Elementen der strukturellen, der kognitiven sowie der Prototypen-Semantik auf und ist mit neueren Erkenntnissen zur Struktur des mentalen Lexikons vereinbar.

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