Graduiertenkolleg 516
Kulturtransfer im europäischen Mittelalter

Christine Manka

Laζamons ‚Brut‘: Rückblick auf den epischen Helden des angelsächsischen England aus der Sicht eines hochmittelalterlichen Engländers mit normannisch-lateinisch-britischen Bezügen.

Christine Manka Die frühmittelenglische, 16000 Langzeilen umfassende Britenchronik Laζamons Brut schildert die Geschichte der britischen Könige, angefangen beim mythischen Begründer Großbritanniens Brutus über den sagenhaften König Arthur bis zur endgültigen Niederlage gegen die Angelsachsen unter Cadwalader. Die Chronik, eine Übersetzung des anglonormannischen Roman de Brut von Wace, der wiederum auf die lateinische Historia Regum Britanniae von Geoffrey of Monmouth zurückgeht, ist in zwei Manuskripten erhalten, Cotton Caligula A IX und Cotton Otho C XIII, die auf allen sprachlichen Ebenen erheblich divergieren. Keine der beiden Fassungen, die ungefähr auf die gleiche Entstehungszeit gegen Ende des 13. Jahrhunderts datiert werden, ist das Original des Autors.

Die Sprache der Caligula-Fassung ist für die Entstehungszeit des Brut ca. ein Jahrhundert nach der Normannischen Eroberung im Jahr 1066 äußerst archaisch, was sich sowohl in der Lexis, Phonologie, der Versform – alliterierenden Langzeilen – und der Wortbildung - Gebrauch von Nominalkomposita – niederschlägt. Laζamon, ein Priester aus der Nähe von Worcester, scheint bewusst auf ein Vokabular zurückgegriffen zu haben, das kaum französische Wörter enthält und dem Leser die untergegangene altenglische Heldendichtung, die in Heldenepen wie Beowulf oder der Battle of Maldon ihren Ausdruck fand, in Erinnerung ruft. Die Otho-Fassung wurde dahingegen vom Kopisten erheblich gekürzt und sprachlich modernisiert. Sie weist immer noch etliche Charakteristika der Caligula-Handschrift auf, wie beispielsweise die Formelhaftigkeit der Komposition, allerdings hat der Schreiber einige der für die altenglische Dichtung charakteristischen Merkmale beseitigt oder zumindest erheblich reduziert und so beispielsweise Alliteration in etlichen Fällen in Endreim umgewandelt und eine Großzahl der Nominalkomposita durch Simplizia ersetzt.

Angesichts der sprachlichen und kulturellen Situation im England des 12. Jahrhunderts erscheint diese Glorifizierung der Briten, die in der Begründung des Arthusmythos in englischer Sprache gipfelt, unter Rückgriff auf die Sprache der angelsächsischen Eroberer, die zugleich alle Werte und Traditionen des germanischen Heldentums transportiert, äußerst ambivalent.

Vor dem Hintergrund dieses kulturell komplexen Verhältnisses von Gedicht, Sprache und Gesellschaft untersuche ich das Wortfeld ‚Held‘, ‚Krieger‘, ‚Waffen‘ und ‚Schlacht‘ in den beiden Versionen des Brut unter jeweiliger Berücksichtigung des anglonormannischen Quelltextes. Emblematisch für die vom Otho-Schreiber vorgenommenen Veränderungen ist der in vielen Fällen beinahe kategorische Ersatz von Begriffen für Krieger, wie beispielsweise ðein, heleð und beorn, die den Geist des angelsächsischen Heldentums heraufbeschwören, durch das Wort cniht.

Ziel meines Dissertationsprojekts ist es, herauszufinden, ob der Otho-Kopist bei seiner Überarbeitung des Gedichtes ein bestimmtes revisorisches Konzept im Kopf hatte und die Lexis unter Berücksichtigung stilistischer Faktoren bewusst abgeändert hat, so dass die Otho-Fassung Assoziationen mit dem keimenden Genre der mittelenglischen Romanze hervorruft.

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