Angelika Zacher
Grenzwissen – Wissensgrenzen im Alexanderroman

Man könnte sagen, dass
eines der Hauptthemen der Alexanderromane des Mittelalters der Kulturtransfer
ist. Denn das Leben Alexanders des Großen zeichnet sich vor allem
durch dessen Entdecker- und Eroberertätigkeiten aus. Er bereist fremde
Länder, lernt fremde Völker kennen, sein Wissensdurst geht soweit,
dass er schließlich sogar Himmel und Meer bereist. Natürlich existiert
aber in diesen Texten noch kein Konzept von „Kulturtransfer“,
und die fremden Welten und Wesen, denen Alexander begegnet, stehen
meist für das, was nicht mehr begreifbar ist, was Angst macht und
dem menschlichen Verstand eigentlich verborgen bleiben sollte. Problematisch
gestaltet sich deswegen in mittelhochdeutschen Texten die Auseinandersetzung
mit diesen Teilen der Alexandertradition.
Als Erkunder fremder Welten war Alexander Vertreter einer empirischen
Form der Wissensvermittlung, die für das auf Traditionswissen basierende
Mittelalter kaum darstellbar war. Seiner Figur eignet ein grenzüberschreitendes
Moment, welches die „Statik der mittelalterlichen Wissenswelt“
in Gefahr brachte. Wegen seiner heilsgeschichtlichen Einbettung und
Bedeutung als Exekutor des dritten Weltreichs musste man sich jedoch
bereits früh mit ihm auseinander setzen. Frühe Bearbeiter des Alexanderstoffs
versuchten, der Problematik der Alexandertradition durch geographische
und epistemologische Begrenzungen des fremden Wissens und durch negative
Wertung seiner Neugierde, „Curiositas“, beizukommen. Erst bei
Ulrich von Etzenbach, der im 13 Jahrhundert den wohl umfangreichsten
Alexanderroman schrieb, so meine These, zeigt sich ein neuer Umgang
mit der Stofftradition, der weder auf „Moralisation“ noch auf
Begrenzung des positiven Wissens zurückgreifen muss, um mit den Problemen
umzugehen, die sich bei der Vermittlung des von der Alexandergeschichte
propagierten, in seiner Fremdartigkeit faszinierenden Entdeckerwissens
ergaben. Ulrich setzt bei der Vermittlung des Wissens an, ändert dessen
Art und Qualität und macht es dadurch darstellbar.
Vor allem die im letzten Jahrzehnt erfolgten Fortschritte der mediävistischen
Forschung zu „Fremdheitserfahrungen“ sowie intra- und intertextuellen
Möglichkeiten literarischer Kommunikation unterstützen eine neue Herangehensweise
an dieses Problemfeld. Die Wissenstradierungen und Texttraditionen
vor allem im „Alexander“ Ulrichs von Etzenbach sollen als besonders
aufschlussreiches Beispiel für Probleme von Wissensorganisation, -darstellung
und -transfers in literarischen Texten im Hochmittelalter herausgearbeitet
werden. Im Vergleich mit anderen zeitgleichen und späteren Alexanderromanen
soll gezeigt werden, wie sich der Umgang mit dem Wissen über fremde
Völker und Länder, über Wunder und Monster ändert und welche Rückschlüsse
sich auf den Wandel des mittelalterlichen Kulturgerüsts und der Mentalität
ziehen lassen.
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\section{Grenzwissen – Wissensgrenzen im Alexanderroman}
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